D. C. Snell: Die Religionen des Alten Orients.

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Titel
Die Religionen des Alten Orients.


Autor(en)
Snell, Daniel C.
Reihe
Paradosis. Beiträge zur Geschichte der altchristlichen Literatur und Theologie
Erschienen
Darmstadt 2014: Philipp von Zabern Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Stephan Lauber

Daniel C. Snell, L. J. Semrod Presidential Professor an der University of Oklahoma, ist Autor zahlreicher fach- und populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen zur Geschichte, Sprache, Kultur und Religion des Alten Orients. Zu seinen Forschungsfeldern gehören auch die biblische Geschichte und die Exegese des Alten Testaments.

Die zuerst 2011 auf Englisch erschienene Monographie über die Religionen des Alten Orients deckt auf weniger als 200 Seiten einen enormen zeitlichen und geographischen Rahmen ab: die Religionsgeschichte von der Jungsteinzeit bis zur Zeitenwende in Mesopotamien, der Levante und Ägypten, einschließlich der Einflüsse aus diesem Kulturraum auf Entwicklungen in Griechenland, Etrurien und Rom. Damit ist bereits klar, dass es nur um eine grundlegende Einführung gehen kann. Das Buch richtet sich nicht an Spezialisten, sondern an eine interessierte Leserschaft ohne besondere Vorkenntnisse, vor der in 17 Kapiteln ein breites Panorama entrollt wird.

Kap. 1 gibt eine «Definition von Raum und Zeit» (10−16), u.a. mithilfe einer Karte und einer Zeitleiste – beide freilich äußerst schematisch. Kap. 2 über «Frühe Andeutungen» (17−23) eines religiösen Bewusstseins schildert archäologische Hinweise aus der jungsteinzeitlichen Siedlung Çatal Höyük (um 8000 v. Chr.), die auf Ahnenverehrung und den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod schließen lassen, und auf die ersten Tempelanlagen bei Besiedlung der irakischen Ebene ab 5500 v. Chr. In dieser Epoche vermutet Snell bereits Anfänge der systematisierenden Gruppierung von Götterfamilien und der als «Synkretismus» bezeichneten Identifikation von gleichartigen Gottheiten miteinander, die später ein konstantes konzeptionelles Kennzeichen polytheistischer Religion sein wird.

Kap. 3 (24−29) referiert Ursprünge und Entwicklungen von Gottesvorstellungen in Mesopotamien von der Uruk- bis in die altbabylonische Zeit (ca. 4000−1600 v. Chr.). Neben den Hauptgöttern mit überregionaler Bedeutung war eine große Zahl «kleiner» Gottheiten bekannt: nur lokal verehrte Stadtgötter, persönliche Götter mit besonderer Schutzfunktion für Einzelpersonen und böse oder wohlgesonnene Dämonen. Kap. 4 (42−68) trägt die historischen Hintergründe nach: Das Aufkommen der mesopotamischen Stadtstaaten und deren Expansion, die in die Gründung des Großreichs von Akkad durch Sargon (um 2300 v. Chr.) mündete. Als Folge dieser Zentralisierung kam es zu synkretistischen und kultinstitutionellen Verschmelzungen. Eine letzte Renaissance sumerischer Kultur bedeutete die Ur III-Zeit (2100−2000 v. Chr.) mit einem gut organisierten Zentralstaat. Nach dessen Zerfall errang Babylon innerhalb von 200 Jahren die Vorherrschaft über die größten Teile seiner Erbmasse. Die amurritische Herrscherschicht während der damit einsetzenden altbabylonischen Zeit verehrte besonders ihre persönlichen Götter und unterstützte ansonsten die überkommenen mesopotamischen Kulte. Prägende Gestalt war der durch seinen Gesetzeskodex bekannte Hammurabi (1792−1750 v. Chr.), der – anders als Herrscher seit der Akkadzeit – keine göttlichen Prärogativen mehr für sich beanspruchte. Am Ende der Epoche zeichnete sich der Aufstieg der künftigen Großreiche der Assyrer und Hethiter ab.

Kap. 5−8 (69−102) befassen sich mit Ägypten von 4000 v. Chr. bis zum Ende der Amarna-Zeit (ca. 1300 v. Chr.). Kap. 5 (69−82) behandelt den Totenkult als eine spezifische Ausprägung der ägyptischen Religion und die eng mit der Königsideologie verbundene Jenseitshoffnung, die um 2500 v. Chr. ihren imposantesten Ausdruck in der Errichtung der großen Pyramiden fand. Bereits in früher Schulliteratur begegnet das für die ägyptische Weltdeutung zentrale Konzept der ma’at, der Verkörperung von «Gerechtigkeit und Balance». In Kap. 6 (83−89) werden Herkunft, Funktion und Bedeutungszuwachs der Hauptgottheiten des ägyptischen Pantheons vorgestellt, und Kap. 7 (90−97) widmet sich dem «Traum des Echnaton», also dem großen religiösen und gesellschaftlichen Umwälzungsversuch Amenophisʼ IV (1350−1300 v. Chr.). Ausgehend von der Ausgrabungsstätte Lahun in Oberägypten gibt Kap. 8 (98−102) Einblick in die Alltagskultur und die gottesdienstlichen Praktiken der Dorfbewohner.

Kap. 9 (103−114) beschreibt die Zeit von 1400−1000 v. Chr. als «internationales Zeitalter», in dem es durch verstärkte wirtschaftliche und politische Kontakte zur Angleichung und gegenseitigen Übernahme religiöser Auffassungen kam. Bezeichnend dafür ist die jetzt kulturübergreifende Verbreitung des Gilgamesch-Eposʼ. Kap. 10 (115−123) wendet sich erneut Mesopotamien zu: Das 1. Jtsd. v. Chr. war eine Blütezeit von Omina-Praktiken und von Beschwörungsritualen zur Beeinflussung der Zukunft.

«Israel und sein Umfeld» ist Thema von Kap. 11 (124−136), das vor allem die Entstehung der monotheistischen Gottesvorstellung nachzeichnet und dabei auch die Problematik einer unkritischen Verwendung der hebräischen Bibel als Geschichtsquelle erläutert.

Kap. 12 (137−149) stellt den geistesgeschichtlichen Umbruch während der von Karl Jaspers als «Achsenzeit» interpretierten Jahrhunderte von ca. 800 bis 200 v. Chr. vor, in der sich kulturübergreifend der Durchbruch einer reflexiven Weltwahrnehmung und das Erwachen eines Ich-Bewusstseins konstatieren lässt. Im Alten Orient gehörten zu den Protagonisten dieser Umwälzungen Zarathustra und die Propheten in Israel (750−500 v. Chr.), während Ägypten und Mesopotamien keinen Anteil an diesen Entwicklungen nahmen. Das Interesse am Individuum warf zunehmend die Frage nach den Ursachen des Leidens des Gerechten auf, biblisch in den Büchern Hiob und Kohelet. Den zoroastrischen Dualismus als Antwort auf dieses «grundlegende Logikproblem des Monotheismus» präsentiert Kap. 13 (150−155).

Als die «Länder des Baal» behandelt Kap. 14 (156−163) den Kulturraum Westsyriens und des Libanon mit den historischen Zentren Ebla (3. Jtsd. v. Chr.), Ugarit (bis 1200 v. Chr.) und den phönizischen Stadtstaaten des 1. Jtsd. v. Chr. Neben Informationen zu Mythologie und Kultpraktiken wird als kulturgeschichtlich wichtigster Beitrag die Entwicklung der phönizischen Konsonantenschrift hervorgehoben, die – auch wegen der Verbreitung durch die Handels- und Siedlungstätigkeit im ganzen Mittelmeerraum – zur Grundlage aller späteren Alphabetschriften wurde. Kap. 15 (164−173) beleuchtet den sonstigen wechselseitigen Kulturaustausch zwischen dem Alten Orient und dem westlichen Mittelmeerraum.

Die abschließenden Kap. 16 (174−189) und 17 (190−195) reflektieren über die (auch von religionswissenschaftlichen Analysen, von denen einige überblicksartig benannt werden, nicht aufzulösende) Fremdheit vieler der dargestellten Anschauungen und Praktiken aus der heutigen Perspektive einer völlig veränderten Lebenswelt und Religiosität, weisen aber auch auf Kontinuitäten und weiterwirkende Traditionsstränge hin.

Snell geht es nicht nur um die trockene Vermittlung von Informationen, er will auch Verständnis für seinen Gegenstand wecken, etwa indem er die (manchmal überbetonte) Distanz durch (mitunter etwas bemühte) Analogien und kulturgeschichtliche Querverweise zu überbrücken versucht, vor allem aber durch die jedem Kapitel vorangestellten kurzen fiktiven Episoden, die einen affektiven Zugang zum anschließend behandelten Thema eröffnen sollen. Vielleicht wäre dieser Zugang aber noch besser durch die Erschließung von – wo verfügbar – historischem Quellenmaterial zu erreichen, in dem die Stimme der Vergangenheit selbst zu Wort kommen könnte. Auch eine ausführlichere Bebilderung (es gibt nur zwei Schwarz-weißfotos und drei Umzeichnungen) hätte die Anschaulichkeit sicher erhöht.

Auch wenn eine solche knappe Einführung notwendig schematisch und selektiv vorgehen und oft oberflächlich bleiben muss – Daniel C. Snell leistet das unter dieser Beschränkung Mögliche: Er gibt nicht nur eine grundlegende Orientierung über Ereignisse und Fakten und führt an das Verständnis von Entwicklungen und Zusammenhängen heran, sondern legt durch seine engagierte und empathische Präsentation vor allem Fährten für ein weiteres und gezieltes Eindringen in die vielen angerissenen Themenkreise und Reflexionen.

Zitierweise:
Stephan Lauber: Rezension zu: Daniel C. Snell, Die Religionen des Alten Orients. Aus dem Englischen von Cornelius Hartz, Darmstadt, Verlag Philipp von Zabern (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 379-381.

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